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Ab wann ist der Wind zu stark zum Paddeln?

Jetzt im Winter ist an Nord- und Ostsee Sturmsaison. Auch wenn wir gerne mehr paddeln würden, gibt es doch immer wieder Tage, an denen es besser ist, nicht aufs Wasser zu gehen - so wie heute. Aber wann wird aus viel Wind zu viel Wind?

Wind beeinträchtigt uns Paddler auf vielfältige Weise. Er drückt gegen unseren Körper, das Boot und das Paddel und treibt uns dabei vor sich her. Über die Bodenreibung türmt er das Wasser zu Wellen auf. Er bringt Wolken und damit eventuell Schlechtwetterfronten heran. All diese Dinge gilt es zu beachten, wenn wir bei Wind paddeln gehen.

Es macht auch für alle diese Faktoren einen großen Unterschied, ob der Wind mit konstanter Stärke bläst oder in Böen, also in kurzen starken Windstößen mit schwächeren Pausen dazwischen.

 


bei mäßigem Wind und leichter Welle auf der Nordsee


Die Kraft des Windes abzuschätzen geht an der Küste am Besten, indem man sich anschaut, was der Wind mit dem Wasser macht. Das Salzwasser von Nord- oder Ostsee bietet dem Wind immer gleichen Widerstand. Daher eignet es sich bei ausreichender Tiefe besonders gut für Vergleiche. Das haben bereits die alten Seefahrer zu schätzen gewusst und die Windstärke auf See anhand des Wellenbildes abgeschätzt. Heraus gekommen sind die 12 Stufen der Beaufort-Skala. Die Beschreibungen des Wellenbildes gilt allerdings nur auf hoher See, wo die Wirklänge des Windes ausreichend weit und das Wasser ausreichend tief ist, um ein homogenes Wellenbild zu erzeugen. Entlang der Küsten, vor allem aber über den Wattflächen und in den Mündungsbereichen der großen Flüsse, ist oftmals beides nicht gegeben. Daher sieht das Wellenbild hier recht häufig nach deutlich weniger Wind aus, als tatsächlich weht...


Windstärke

Windgeschwindigkeit

Bezeichnung

Wellenbild auf See


0

< 1 kt

Stille

spiegelglatte See


1

1-3 kt

leiser Zug

kleine schuppenförmige Kräuselwellen ohne Schaumkämme 


2

4-6 kt

leichte Brise

kleine kurze und glasige Wellen, die nicht brechen 


3

7-10 kt

schwacher Wind

erste Wellenkämme beginnen zu brechen, vereinzelte Schaumkronen


4

11-16 kt

mäßiger Wind

Wellen werden etwas länger, verbreitet Schaumkronen


5

17-21 kt

frischer Wind

mäßige, lange Wellen, Schaumkronen in großer Zahl, vereinzelt etwas Gischt


6

22-27 kt

starker Wind

Bildung großer Wellen beginnt, ausgedehnte weiße Schaumkämme, häufig mit Gischt


7

28-33 kt

steifer Wind

sich auftürmende See, weithin weißer Schaum, erste Schaumstreifen in Windrichtung


8

34-40 kt

stürmischer Wind

mäßig hohe Wellenberge mit zu Gischt verwehten Kämmen, ausgeprägte Schaumstreifen in Windrichtung


9

41-47kt

Sturm

hohe Wellenberge und "rollende" See, Gischt beginnt die Sicht zu beeinträchtigen


10

48-55 kt

schwerer Sturm

sehr hohe Wellenberge, die Schaumstreifen sind so dicht, dass die Meeresoberfläche komplett weiß aussieht


11

56-63 kt

orkanartiger Sturm

außergewöhnlich hohe Wellenberge, die kleine und mittelgroße Schiffe verdecken können, die See ist vollständig von weißen Schaumflächen bedeckt, die Sicht ist stark herabgesetzt


12

>64 kt

Orkan

die Luft ist mit Schaum und Gischt angefüllt, die See ist vollständig weiß von treibender Gischt, die Sicht ist stark herabgesetzt



Als Paddler gilt es sich zu überlegen, welchen Windeinflüssen wir ausgesetzt sind und was das für uns bedeutet. Ein wichtiger Punkt ist hierbei die Winddrift: da unsere Kajaks so gut wie keinen Tiefgang haben treibt uns der Wind vor sich her. Das kann uns helfen, mit achterlichem Wind schneller ans Ziel zu kommen, das kann uns aber auch ausbremsen, wenn der Wind von vorne kommt. Wenn wir gegen den Wind paddeln hat das eine Reihe von Konsequenzen, deren wir uns im Klaren sein müssen.

Der Wind kühlt uns aus. Trotz Paddelbekleidung ist unser Energiebedarf dadurch größer und damit sinkt unser Aktionsradius, also die Strecke die wir am Stück  paddeln können. Je stärker der Wind weht, desto größer ist dieser Effekt und desto kleiner wird unser Aktionsradius, unabhängig von der Windrichtung.

Kommt der Wind von vorne, so sind wir zusätzlich auch noch langsamer, da wir "mit angezogener Handbremse" vorwärts paddeln. Das bedeutet, dass wir für dieselbe Strecke deutlich mehr Zeit brauchen. Unser Energiebedarf ist aber abhängig von der Paddelzeit und nicht von der zurückgelegten Strecke. Das bedeutet bei Gegenwind verkürzt sich die zurücklegbare Strecke noch einmal sehr deutlich. Die Winddrift steigt auch mit der Windstärke. Abhängig von unserem Boot, unserer Masse und unseren Paddelfähigkeiten kann bei großen Windgeschwindigkeiten die Winddrift auch unsere Paddelgeschwindigkeit übersteigen. Dann paddeln wir unter großem Energieeinsatz vorwärts und treiben dennoch rückwärts. Spätestens jetzt sollten wir auf keinen Fall mehr auf dem Wasser sein!

Der Winddruck kann gerade bei böigem, stürmischen Wind so groß werden, dass er bei seitlichem Wind einen Kajakfahrer umwerfen kann. Unter Umständen kann eine beherzte Stütze eine Kenterung verhindern, aber es besteht die Gefahr eines unfreiwilligen Bades. Auch hier hängt die Gefahr natürlich von unseren Paddelfähigkeiten und unserem Kontakt zum Boot ab. Wir sollten also lernen einzuschätzen, bei welchen Bedingungen wir nicht mehr sicher im Kajak sitzen und unter welchen Umständen wir zu kentern drohen. Dann können wir auch leichter einschätzen, ab wann der Wind zum Problem wird.

Zu guter Letzt baut der Wind natürlich auch noch eine Welle auf. Wie groß und wie steil die Wellen sind, hängt sehr stark vom Gewässer ab. Ob wir uns in Wellen wohlfühlen oder nicht, ist eine Frage der Gewöhnung an dynamische Bedingungen und auch des Gleichgewichts und der Bootskontrolle. Viel üben auf bewegtem Wasser hilft, besser mit Wellen umgehen zu können. Allerdings sind auch den besten Paddlern bei Wellenhöhe und Wellenbedingungen Grenzen gesetzt. Wo genau diese Grenze liegt, ist jedoch wieder individuell sehr verschieden.


Sturmspaß mit bewegtem Wasser vor Alsen auf der Ostsee


Zwei wesentliche Punkte ob wir bei (für uns und unsere Fähigkeiten) starkem Wind paddeln gehen sollten oder nicht sind unsere Tagesform und die Windrichtung. Beides spielt ineinander.

Wenn ich mich morgens gut fühle und noch vor dem Frühstück Bäume ausreißen könnte, sitze ich deutlich besser im Kajak als wenn ich vielleicht übermüdet oder anderweitig geschwächt bin. In letzterem Fall werde ich auch ängstlicher sein und damit nimmt leider auch meine Reaktionszeit und die Reaktionspräzision ab. Das bedeutet, wenn ich ängstlicher bin ist die Gefahr, dass ich umkippe und schwimmen gehe tatsächlich größer als wenn ich motiviert und positiv gestimmt bin.

Und hier kommt die Windrichtung ins Spiel. bei einem auflandigen Wind, idealerweise vor einem Sand- oder Kieselstrand weiß ich, dass der Wind mich und mein Boot auf jeden Fall wieder an Land treibt, auch wenn mal etwas schief gehen sollte. Diese Sicherheit verarbeitet das Unterbewusstsein und wir paddeln deutlich entspannter, wenn wir wissen, dass die Konsequenzen höchstens ein gebrochenes Paddel und ein paar Kratzer im Boot sind. Weht der Wind jedoch ablandig, paddelt im Unterbewusstsein ständig der Gedanke mit, was passieren würde, wenn wir doch umkippen. Treibt uns der Wind dann nach England? Wird der Rettungshubschrauber uns finden? Diese Gedanken können wir gar nicht steuern, die spielen sich komplett außerhalb unserer K0ntrolle im Unterbewusstsein ab. Die Konsequenz ist dass wir deutlich ängstlicher und unentspannter Paddeln - und damit unsicherer. Nur durch die geänderte Windrichtung, alles andere ist gleich geblieben, hat sich die Wahrscheinlichkeit für Probleme auf dem Wasser also erhöht.


Sturmflut im Wremer Kutterhafen


Denselben Effekt wie ab- und auflandiger Wind haben übrigens Sonne und Wolken. Wenn zum Wind noch dunkle Wolken und eventuell sogar Regen und verringerte Sicht hinzukommen, fühlen wir uns deutlich unsicherer als bei derselben Windstärke bei Sonnenschein.

Das alles beantwortet noch nicht die eingangs gestellte Frage, wie viel Wind den jetzt zu viel ist. Auf diese Frage gibt es auch keine allgemein gültige Antwort. Das hängt sehr stark vom einzelnen Paddler, seinen Fähigkeiten, seiner Tagesform und den Gewässerbedingungen sowie der Küstenbeschaffenheit ab.

Ab Windstärke 3 bilden sich ernst zu nehmende Wellen mit Schaumkronen. Bereits hier fängt für unerfahrene oder noch nicht so geübte Paddler der Bereich von "zu viel Wind" an.

Die meisten kommerziellen Seekajakanbieter paddeln nur bis Windstärke 4, das ist ein Hinweis darauf, dass auch ein "mäßiger Wind" für uns Paddler schon ein ernst zu nehmender Faktor ist.

Einen weiteren ganz allgemeinen Anhalt bieten die Stufen des Europäischen Paddel Passes (EPP), unabhängig davon ob man die Prüfung der jeweiligen Stufe abgelegt hat. Die Stufe EPP4 Küste beinhaltet Touren im Wattenmeer bis Windstärke 5. Dadurch wird schon ersichtlich, dass bei allen Windstärken über 4 hinaus das Paddeln nur noch Paddlern vorbehalten sein sollte, die genau wissen, dass sie mit den Bedingungen zurecht kommen - und die trotzdem für alle Eventualitäten gewappnet sind. 

Es gilt bei der Frage nach der Windstärke, bis zu der Paddeln möglich ist, im Zweifelsfall auf das Bauchgefühl zu hören und Erfahrung aufzubauen. Und lieber einmal zu viel nicht raus zu gehen als einmal zu viel überfordert auf dem Wasser unterwegs zu sein. Wir alle wollen den Seenotrettern das Leben ja nicht unnötig schwer machen.